Mein neuer Pass, arabische Vornamen, Turbane und ein alter Eintopf

Vornamen, oder: eine Reise zu meinen Wurzeln, bei der ich fast Wardah geworden wäre (und was Dattelhexen damit zu tun haben)

Wie ich einen Voramen suchte – und mich selbst fand. Zwischen Herkunft und Humor.

Nun ist es so weit:
Ich bin auf dem Weg zu meinem algerischen Pass.
Da ich das Land meiner Herkunft endlich mal kennenlernen will (ich war noch nie dort – lange Geschichte für einen anderen Blog), ist das erheblich einfacher mit dem richtigen Pass in der Tasche.
In stiller Vorfreude saß ich bei einem Kaffee auf der Couch – und mir kam etwas in den Sinn, dass ich irgendwann mal gehört habe: „Du darfst dir einen Vornamen für den Pass aussuchen.“

Oha.

Ob das wirklich stimmt? Ich habe keine Ahnung – aber der Gedanke war zu verlockend, um das jetzt mit Hilfe von Google mit Fakten abzuwürgen. Nachdem ich meine Fantasie, die bereits fröhlich eskalierte, wieder eingefangen hatte, begann ich zu recherchieren: Vornamen.
Natürlich sollten sie „aus der Gegend“ kommen, wo ich ursprünglich herstamme – also algerisch oder amazigh (berberisch) sein.

Ich wühlte mich durch viele, viele Webseiten. Nachdem ein paar Namen in die engere Wahl gekommen waren, rief ich meinen Sohn an. Der orakelte kurz an seinem Handy herum und sagte dann:
„Mutter, ich habe den perfekten arabischen Voramen für dich im Internet gefunden …“

Da er vor lauter Lachen diesen Satz schon kaum noch formulieren konnte, bereitete ich mich innerlich schon mal auf etwas sehr Spezielles vor.
Mit einer Alt-Frauen-Stimme, die ich gedanklich sofort einer übergewichtigen alten Hexe zuordnete, krächzte mein Sohn mit rollendem R und gebrochenem Deutsch ins Telefon:

„Heiße ich Wardah … kommst du in Wardahs Zelt, kleiner Wüstenprinz, mh?“

Lachend sinke ich auf die Couch – mit einem klaren Bild, das sich in meinem Hirn formt: Eine alte, wuchtige Wüstenhexe mit wallendem Gewand, Goldzahn, übertriebenen Falten und einem leicht verrutschten Turban, der nach Eintopf riecht.

Kichernd nuschele ich „So siehst du also deine ehrwürdige Mutter?“, während vor meinem geistigen Auge Waaaarrdaaahhh mit fettigen Fingern ein Dattelstück zerteilt, gleichzeitig in meiner Zukunft liest und meine Nachbarn verhext. 

Ich habe recherchiert – gewissenhaft: „Wardah“ heißt auf Arabisch ganz schlicht und wunderschön: „Rose“.

Bei mir ist es jetzt die Dattelhexe vom Wüstenrand.
„Kostet nur ein Dattelkern – gute Wahrsagung von Wardah, mh?“
Und ich sehe noch, wie die Alte mir zuzwinkert.
Und eine kleine Geschichte fängt an, sich selbst in meinem Kopf zu weben:

Wardah die Dattelhexe

Am Rande einer Oase. Verkauft Zimt, die Zukunft und zweifelhafte Komplimente.
Sie hat drei Ziegen. Eine so alt, dass Wardah steif und fest davon überzeugt ist, sie habe schon bei ihren Urahnen Milch gegeben.
Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, nennt sie die Ziegen liebevoll „meine Töchter“.
Sie spricht stets in der dritten Person, wenn sie lügt – und sie war früher mal wunderschön.
Zumindest behauptet sie das.

Zurück zur Realität

Ein Vorname muss her. Und ich sitze noch immer zwischen Dattelpaste und Identitätskrise.
Bisheriger Erfolg:
Eine Reise zu meinen Wurzeln, bei der ich fast Wardah geworden wäre.
Zum Glück nur fast.

Ich gehe die noch sehr überschaubare Liste der Namen durch, die in die engere Wahl kommen. Sie sollten eine schöne Bedeutung haben – etwas mit Gefühl:

  • Sihaya – Quelle, Frühling
  • Tafrara – Morgendämmerung
  • Tanazârt – Trotzig, wagemutig

Und direkt murmelt Wardah in meinem Kopf – natürlich mit gerolltem RRRR und einer Stimme wie ein vertrockneter Palmwedel, der über alten Stein kratzt, während sie grinst, und langsam auf einer Dattelhälfte kaut: „Nimm mich … bin ich doch schon offiziell anerkannt, mh? Du weißt schon – von deinem Jüngling.“

Dabei wedelt sie mit einem vergilbten Formular vor meinem Gesicht. Ich schüttle schmunzelnd den Kopf über mein Zwiegespräch mit mir selbst und stöbere weiter in der Namensliste – ein wenig mehr Auswahl wäre schon schön.

„Tin Hinan“ – oh ja, der ist schön!
Fällt leider raus: Ahnfrau der Tuareg, verehrt als Ur-Mutter ganzer Linien.
Heiliger Name. Wäre dann doch etwas anmaßend.
Kahina – die Seherin, die Prophetin – auch sehr schön.
Oder vielleicht Kaci – die Sanfte, die Weise (naja … obwohl ich und sanft? Mhmmm … außerdem ist der Name unisex).
Cabh’a – schöne Schreibweise, aber bedeutet schlicht und ergreifend „schön“.
Wenn man es sich schon mal aussuchen kann – möchte ich schon ein bisschen mehr.

Und weiter geht’s mit der Suche – und ich bleibe an einem Namen hängen:
„Tudatt“. Sofort regt sich meine Ruhrpott-Vergangenheit:

„Hömma, TU DAT mal schön zurück inne Schublade.“
Dann lese ich die Bedeutung: „Mutterschaf“.

Und wieder sind meine ernsthaften Bemühungen dahin. In meinem Kopf läuft direkt ein Film:
„Wat glaubste wohl, wer ich bin? Tudatt – dat Mutterschaf vonne Oase, weißte Bescheid?“
Ich wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel und lese weiter – mein Liebster schaut schon argwöhnisch zu mir rüber, weil ich immer wieder murmele, schniefe – und dann leise vor mich hin kichere.

Symbolisch steht es für Fürsorge, Fruchtbarkeit und Schutzinstinkt.
Also alles, was man nicht mit einem harten Ruhrpott-Akzent aussprechen sollte. Aber jetzt is’ zu spät, ne? Mein Gedankenbild ist komplett. Und jetzt ist es offiziell:

Tudatt – die berberische Leitziege von Gelsenkirchen.
Kurz überlege ich, den Blogbeitrag in
„Zwischen Sihaya und Tudatt – wie ich fast zum Mutterschaf wurde“
oder
„Wardah, Tudatt & ich – Zwischen Couscous und Castrop-Rauxel“
umzubenennen.

Ich verwerfe den Gedanken wieder. Dann vertiefe ich mich erneut – in die Suche nach dem richtigen Namen. Und nach dem Weg zu mir selbst. Nebenbei grüble ich darüber, warum Datteln keine offizielle Währung sind. Namen haben nicht nur Bedeutung, sondern auch ein Lebensgefühl.

Anmerkung mit Herz:
Wenn du beim Lesen schmunzeln musstest, dann freut mich das sehr.
Und falls du dich gefragt hast, ob ich mich über Kultur, Sprache oder Herkunft lustig mache: Nein. Ich trage die Wüste im Herzen, die Namen mit Respekt – und meine sprühende Fantasie kennt keine Landesgrenzen. Ob TudattNathan oder Hans, sie malt Bilder, wo andere nur Buchstaben sehen.
Und anscheinend wachsen Geschichten nicht nur aus Moos – sondern formen sich auch aus Wüstensand. Das hier ist kein Spott, sondern ein liebevoller Tanz zwischen Herkunft und Humor.

Oder wie Wardah sagen würde:
„Wahrheit hat Falten, Kindchen – schmeckt manchmal nach frischem Koriander und klebt an dir wie eine alte Dattel.“

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