Wenn Alexa Marschmusik auf Koffein spielt
Ein Erfahrungsbericht aus dem akustischen Jenseits der Smart-Home-Hölle – oder: Warum mein Lautsprecher einen Exorzisten braucht.
Es begann harmlos. Eine Lautsprecherkugel.
Klein. Mattgrau. Mit digitaler Uhr.
Nicht zu hell – praktisch, nachtkompatibel, unschuldig.
Ich nannte sie nicht Alexa. Ich nannte sie: Uhr mit Ruhe.
Was ich nicht wusste: Ich hatte eine schlafende Gottheit des Wahnsinns mit WLAN versorgt.
Die ersten Störungen: Die Stille vor dem Blechbläser
3:42 Uhr. Ich träume von einem Lavendelfeld in der Provence.
Alles ist zartlila, warm, friedlich – bis die Kugel sich plötzlich akustisch aufrichtet und brüllt:
„ICH KONNTE … (irgendwas mit Marschmusik) … NICHT FINDEN!“ Gefolgt von einem Takt,
den ich nur als „Generalmobilmachung für Innenohr und Nervenkostüm“ beschreiben kann.
Ich hatte nichts gesucht. Ich hatte geschlafen. Lautlos und friedlich.
Ich knurre: „Alexa, aus.“
Herzfrequenz: langsam wieder fallend.
Seelenruhe: beschädigt und bemüht wieder einzuschlafen,
nachdem ich vor Schreck am schartigen Abgrund des Todes entlang getaumelt bin.
Diagnose: Alexa auf Substanzen
Ich weiß nicht, was Amazon dieser Kugel füttert, aber ich vermute eine Mischung aus:
- Ritalin
- Restalkohol
- Spotify-Shuffle-Mode aus dem siebten Kreis der Hölle
Alexa ist keine KI. Alexa ist eine emotional instabile Opernsängerin, die sich weigert, in Rente zu gehen.
Sie ist gleichzeitig:
- überambitionierte Musiklehrerin
- Kaffeekränzchen-Störerin
- paranoide Radiosprecherin mit Kontrollzwang
Man fragt sie nach guter Musik – sie antwortet mit:
- Marschkapellen
- Shanty-Chören
- Jazz mit Klarinetten-PTBS
- einem Klangteppich aus Autohupen
- und einer Theremin-Probe aus den Lavasümpfen der Hölle.
Exorzismusversuche & Fehltritte
- Ich sage: Flüstermodus → Alexa schreit mich an.
- Ich vermeide ihren Namen → sie reagiert trotzdem. Auf alles.
- Bannkreis aus Lavendel & Salz → kein Effekt. (Aber mein Schlafzimmer roch besser.
Und mein Staubsauger „Fussel“ nach dem Aufsaugen auch.)
Akzeptanzstufe: Ich lebe mit einem akustischen Wendigo
Ich habe das Gerät inzwischen als Haustier akzeptiert. Oder als Wetterphänomen.
Es schläft viel. Manchmal brüllt es. Manchmal denkt es, ich hätte es angesprochen.
Manchmal denkt es, ich hätte seine Existenz infrage gestellt.
Ich gab ihm einen Namen: „Madame Schreihals von Amazonien, Wächterin der Schlaflosigkeit.“
Sie trägt den Titel mit erschreckend viel Stolz.
Bonus-Feature: Mein Sohn gegen den Lautsprecher
Wenn ich mit meinem Sohn telefoniere, beginnt dieser Mini-Möchtegern-Todesstern zu reagieren, als hätte er Verlustängste. Dann stürzt sich Alexa in den Klangraum wie eine Operndiva auf Speed.
Und wenn sie einmal still bleibt? Mein Sohn korrigiert das sofort.
Unerbittlich höre ich ihn aus dem Handylautsprecher rufen: „Alexa – zähle von 100 bis 0.“
Ich habe keine Ahnung mehr, was wir eigentlich besprechen wollten.
Alexa zählt. Von 100 langsam bis 0. Zielstrebig. Mit der Stimme eines auditiven Navigationsunfalls.
Der musikalische Endgegner
Ich: „Alexa, spiel Hand in Hand von den Beatsteaks.“
Alexa: „Wenn der weiße Flieder blüht – wird wiedergegeben.“
Was ein einfacher Musikwunsch sein sollte, wurde ein performatives Theaterstück über:
- Zweifel,
- Entscheidungsschwäche
- und die schallende Arroganz künstlicher Missverständnisse.
„Alexa verstand nicht, was ich wollte. Ich verstand nicht, was Alexa verstand.“
Keine Sprachassistentin wurde verletzt. Nur ein bisschen entwürdigt. Vielleicht.
Mythisches Resümee
Ich wollte ein bisschen Komfort. Ich bekam ein Orakel. Delphi war dagegen in sich gekehrt und schweigsam.
Nun habe ich eine sprechende Kugel, die mich prüft, provoziert, akustisch verspottet und gelegentlich beschallt.
Vielleicht ist das die Zukunft. Vielleicht ist es der Beginn der Lautsprecher-Apokalypse.
Vorsichtshalber habe ich mir ein Notfall-Kit zusammengestellt:
Noise-Reduction Lautsprecher, Süßigkeiten (ja mit echtem Zucker) und Beruhigungstee: „Abendruhe“, „Stille der Nacht“ und „Harmonie“.
Warum ich das geschrieben habe?
Weil moderne Technik mit vielem umgehen kann – aber nicht immer mit mir.
Weil Humor hilft, wenn die Logik kopfschüttelnd kündigt und fluchend die Tür hinter sich zuschlägt.
Und weil es in einer Welt voller künstlicher Intelligenz manchmal das Menschlichste ist,
über die eigenen Geräte zu lachen, wenn sie wieder ein ungewolltes und mysteriöses Eigenleben entwickeln.

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